An vielen Grundschulen mit offener Ganztagsbetreuung könnten schon bald die Betreuungszeiten gekürzt werden. Den Trägern geht das Geld aus, weil die Personalkosten gestiegen sind.
Von Moritz Börner
Familienvater Christopher Dresen holt seine beiden Söhne, sechs und acht Jahre alt, immer nachmittags um 16 Uhr von ihrer Grundschule in Solingen ab. Er und seine Frau sind beide Vollzeit berufstätig. Ohne die Nachmittagsbetreuung in der Offenen Ganztagsschule (OGS) wäre das undenkbar.
Personalkosten steigen durch Tariferhöhung
Doch vor gut einer Woche kam dann der Schock. Die Schule teilte mit, dass die Betreuungszeiten wahrscheinlich gekürzt werden müssen. Denkbar ist zum Beispiel, dass die Betreuung nachmittags schon eine Stunde früher endet und in den Ferien ganz ausfällt. „Das trifft uns als Familie hart“, sagt Dresen, „wir sind darauf angewiesen, dass die Kinder nachmittags betreut werden“.
Ähnlich ist die Situation im ganzen Land, zum Beispiel auch in Duisburg an der Waldschule im Stadtteil Baerl. Zehn Erzieherinnen und Erzieher betreuen hier 180 Schüler im offenen Ganztag, aber ob das Angebot noch aufrecht erhalten bleiben kann, ist unklar. Das liegt daran, dass die Beschäftigten jetzt elf Prozent mehr verdienen. Der kräftige Lohnaufschlag ist in erster Linie ein Inflationsausgleich, ausgehandelt in der jüngsten Tarifrunde.
OGS – Träger machen Verluste
Das Problem ist, dass es für die Träger, also Wohlfahrtsverbände wie Diakonie, Caritas oder AWO nicht mehr Geld gibt. Die Betreuungsplätze werden von Ländern und Kommunen finanziert. Eltern zahlen in der Regel einen Beitrag dazu, nach Einkommen gestaffelt.
Die Kommuen und das Land wollen aber bisher nicht mehr Geld zahlen, um die gestiegenen Personalkosten aufzufangen. Das Duisburger Bildungswerk, Träger der Ganztagsbetreuung an der Waldschule in Duisburg, macht darum unterm Strich Verluste. Sogar die Schließung von OGS-Standorten wird inzwischen nicht mehr ausgeschlossen.
Rechtsanspruch für Ganztag ab 2026
Dabei müssten die OGS-Plätze eigentlich ausgebaut werden. Im Moment gibt es für etwas mehr als die Hälfte der Schülerinnen und Schüler einen Platz. Aber ab 2026 haben Eltern einen Rechtsanspruch auf eine OGS-Versorgung. Dann wird mit einem Bedarf von mindestens 75 Prozent gerechnet. Laut Schulministerium fehlen 120.000 Plätze.
Kommunen sehen Land und Bund in der Pflicht
Den Rechtsanspruch könnten Eltern ab 2026 auch einklagen, wahrscheinlich bei den Städten und Gemeinden. Die befürchten deswegen, dass sie auf den Kosten für den Ausbau der Ganztagsbetreuung sitzen bleiben. „Wir fühlen uns von Bund und Land ein Stück weit im Stich gelassen“, sagt Claus Hamacher vom Städte und Gemeindebund. Er befürchtet, dass auf die Kommunen zusätzliche Kosten in Milliardenhöhe zukommen.
Schulministerium will nicht mehr Geld geben
Das NRW-Schulministerium betont, dass schon viel Geld geflossen ist. „Die Fördersätze für die OGS sind seit 2016 jährlich zum 1. August um 3 Prozent erhöht worden“, heißt es aus dem Ministerium, „und zwar auch in den Jahren, in denen es keine Tarifsteigerungen gab.“ Insgesamt gebe das Land mehr als 700 Millionen Euro für die Ganztagsbetreuung aus. Mit dem Geld soll auch der Ausbau der Betreuungsplätze in den kommenden Jahren finanziert werden, um dem Rechtsanspruch auf einen OGS-Platz gerecht zu werden.
Für Familienvater Christopher Dresen aus Solingen führt die Situation zu viel Unsicherheit. Die Familie hat sich gerade erst ein Haus gekauft. „Das Haus können wir uns nur leisten, wenn wir beide berufstätig sind“, sagt Dresens Frau dazu. Sollten tatsächlich die Betreuungszeiten für die beiden Söhne gekürzt werden, könnte das zur Folge haben, dass er oder seine Frau den Job aufgeben müssten, um sich um die Kinder zu kümmern.
Quelle: https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/ogs-kuerzung-betreuungszeiten100.html